Auszüge aus dem Bericht über die Feier zum fünfzigjährigen Bestehen der k. k. Staatsoberrealschule Steyr vom 28. Juni 1913 in der Stadt-Chronik von 1914, Seite 197-201. Die wörtlichen Zitierungen sind kursiv geschrieben.
Beim Festkommers in den Kasinoräumen, der mit dem „Gaudeamus“ eröffnet worden ist, drückte ein ehemaliger Schüler, der aus Wien angereiste Eisenbahnbeamte Schlüsselberger, in seiner Festansprache unter anderem seine besondere Anerkennung über die vielen schwarz-rot-goldenen Fahnen aus, mit der die Stadt geschmückt sei, eine wahre Freude habe er empfunden als er hereingezogen sei vom Bahnhofe und dieses Schwarz-Rot-Gold sah. Aber etwas anderes habe ihn noch mehr gefreut: Vor kurzem hängte wieder am Wiener Rathaus die schwarz-rot-goldene Fahne, und auch am Steyrer Rathaus sah er sie flattern. Er wünsche, dieses schwarz-rot-gold käme nie wieder in die Rumpelkammer! Mit einem herzlichen Gruß der Stadt Steyr und der Realschule schloss Redner unter größtem Beifalle seine zündenden Ausführungen. Um Mitternacht schloss der Vorsitzende mit der begeistert gesungenen „Wacht am Rhein“ den vorzüglich verlaufenen Kommers.
Hinweise:
1. Die Farben der Habsburgermonarchie waren schwarz-gelb, die „Wacht am Rhein“ war die inoffizielle Nationalhymne des Deutschen Kaiserreiches, dessen Nationalfarben schwarz-weiß-rot waren. Die Burschenschafterfarben schwarz-rot-gold standen für die großdeutsche Idee, also für die Eingliederung Österreichs in ein Gesamtdeutsches Reich.
2. Der obige Bericht stammt aus 1913, da war vom Zerfall der Donaumonarchie und einer allenfalls nicht vorhandenen „Lebensfähigkeit“ eines kleinen Deutsch-Österreich noch gar keine Rede. (Nicht nur) für die Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit war das Aufgehen der Alpenrepublik in einem gesamtdeutschen Reich eine Herzensangelegenheit. Zu diesem Zweck wurde von der roten Stadtregierung auch das Singen des Deutschlandliedes (anstelle der österr. Bundeshymne) an allen Wiener Schulen verordnet, um die Jugend von Anfang an auf die großdeutsche Idee einzuschwören.
3. Der „Deutschnationalismus“ war eine Reaktion auf den slawischen und ungarischen Nationalismus und durch dessen Gallionsfigur Georg Ritter von Schönerer von Anfang an diskreditiert. Nach der Hochblüte in den 1880er-Jahren war er bald wieder politisch bedeutungslos mit Ausnahme des großdeutschen Bekenntnisses, das aber bei allen Parteien, auch bei den Christlich-Konservativen wenigstens bis 1933, dominant war.
4. Bruno Kreisky, einer der letzten geschichtsbewussten österr. Politiker, hat einmal gesagt, „national“ habe in Österreich immer „deutschnational“ geheißen. Er hat damit gemeint, dass die Eingebundenheit der Österreicher in den deutschen Kulturraum immer selbstverständlich war. Daher, und das ist meine nun schon seit Jahrzehnten konsequent vertretene Meinung, ist der Begriff spätestens seit 1918 verzichtbar und sollte wegen seiner von der Schönerer-Bewegung zu verantwortenden Anrüchigkeit auch nicht mehr verwendet werden. Aber Traditionen sind bekanntlich zäh.
Übrigens: Auf seinem Sterbebett hat Kreisky auf die Frage, zu welcher Nation er sich bekenne, klipp und klar gesagt: „Ich bin ein Deutscher“.
Dieter Grillmayer